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Wie uns Demut und Hingabe helfen

Bausinger Yogamanufaktur
2023-10-23 15:10:00 / Manufaktur Nachhaltigkeit Stories / Kommentare 0
Wie uns Demut und Hingabe helfen - Wie uns Demut und Hingabe helfen

Wie uns Demut und Hingabe helfen – gerade in herausfordernden Situationen.

Dieses Interview handelt vom Weg aus der Dunkelheit zum Licht von Martin Hoerz-Weber, der durch einen Schicksalsschlag seit 2020 im Rollstuhl sitzt und seinem größten Geschenk – seiner Frau Lisa Hoerz-Weber. Durch Lisa und die innere Haltung durch die Yogapraxis lebt Martin kein leichtes, aber erfülltes Leben.
 
Diese zwei liebevollen Menschen und Yogalehrende leben Yoga – in jedem Atemzug. Diese Hingabe packen sie auch in ihren Yogahof in Kirchberg am Wechsel in Österreich, wo sie Yoga lehren und Yogalehrer:innen ausbilden.

Liebe Lisa, lieber Martin, ich freue mich sehr, mit euch heute über euren Weg zu sprechen.

Wie hat euer Yogaweg begonnen? Wie bist du zum Yoga gekommen, Lisa?

Meine Kindheit prägte mich bereits sehr. Ich bin naturverbunden und spirituell aufgewachsen.
Später habe ich Pädagogik, Psychologie und Philosophie studiert, da schon immer Fragen in meinem Kopf rumgeisterten, wie: „Was macht den Menschen wirklich frei?“ und „Was braucht der Mensch, um sich zu bilden und sich selbst zu entfalten?“
Die Antworten fand ich im Yoga. Als ich mit 22/23 Jahren in Madrid lebte, kam ich der Yogaphilosophie näher. Zurück in Österreich meldete ich mich zu einem Yogakurs an, praktizierte viel und entschied mich bald für eine Yogalehrerausbildung.
An der Uni wählte ich den Schwerpunkt „Yoga mit Kindern und Jugendlichen an der Schule“ für meine Abschlussarbeit. 
Als ich mit der Ausbildung fertig war, lernte ich unseren Lehrmeister Swami Vijnananda kennen. Seitdem beschäftige ich mich viel mit Hingabe, Bhakti Yoga, Loslassen und Geschehenlassen.

Ich würde nicht sagen, dass das Leben dadurch angenehmer oder leichter ist, aber durchaus freier und unabhängiger. Und es kommt mehr Kraft und Selbstverstrauen ins Leben. Wenn ich gut hingeben kann, bin ich im Vertrauen zu Gott. 
Doch manchmal wird dieses Vertrauen geprüft, wenn das eigene Ego dazwischenkommt oder aber herausfordernde Situationen.

 
Herausfordernde Situationen musstet ihr schon einige meistern. Davon werdet ihr uns noch berichten. Was waren deine Berührungspunkte mit Yoga, Martin?

Die hatte ich bereits zwischen 14 und 18 Jahren, allerdings hat mich Yoga nicht gleich gepackt.

Durch ein Rückenleiden vom Fußballspielen hat mein Yogaweg dann begonnen. Das war vor ca. acht Jahren. Mein Arzt rat mir zu einer Operation, aber irgendwas in mir hat sich gegen den Eingriff gewehrt. Ich war der Meinung, dass mein Leiden von einer Dysbalance herrührt und ich versuchen muss, wieder in Balance zu kommen.

Wie es der Zufall wollte, habe ich im Zuge meines Sportpsychologie und -philosophie Studiums eine Lehrveranstaltung „ganzheitliche Gesundheitstechnik“ belegt. Als ich eines Morgens in einen vollen Hörsaal kam, sprach ein indischer Dozent eineinhalb Stunden über Yoga, Freiheit vom Gedankenkreis und über die Seele. Das berührte und faszinierte mich gleichermaßen und ich dachte: „Das will ich studieren.“ 
Nach einem halben Jahr kam mein sportlicher Ehrgeiz dazu und ich übte fast täglich Yoga. Ich erfuhr dadurch so viel Tiefe, nach der ich mich sehnte.
 
Seitdem bin ich bei unserem Guruji Swami Vijnananda in Graz, habe die Yogalehrerausbildung (noch als gehender Mensch) und dann auch noch ein Jahr im Rollstuhl (nach dem Unfall) gemacht.

Durch den Rollstuhl dachte ich zwischendurch, Yoga sei für mich vorbei. Ich hatte keine Vorstellung von Yoga aus dem Rollstuhl heraus. Außerdem schlichen sich immer wieder böse Gedanken an, wie „Yoga hat mich nicht vor diesem Schicksal bewahren können“.

Ich weiß, dass du über dein Schicksal sprichst, um anderen Menschen zu helfen und sie sogar vor einer Dunkelheit und Schwere zu bewahren, die du durchlebt hast. Magst du uns erzählen, wie es zum Unglück kam?

2019 hatte ich nicht meine erste, aber die schwerste Depression. Ein Jahr kämpfte ich mit dem Leben und dem Tod zugleich. Sämtliche Medikamente und Ansätze haben mir nicht nachhaltig geholfen. 
Ich war in einer tiefen Dunkelheit und ich wollte ihr ein Ende setzen. Am 16.06.2020 stieg ich auf mein Motorrad und wachte querschnittsgelähmt wieder auf. 
 
Ich habe aufgegeben. Und aus diesem Aufgeben ist etwas entstanden, das ich mir niemals ausgesucht hätte. Ich würde mir niemals das Leben im Rollstuhl aussuchen. Aber ich merke, dass ich Demut nun in einer tieferen Form erfahre. 

Du sagtest gerade schon, dass du Yoga nach dem Unfall erst mal innerlich verworfen hattest. Wie konntest du dich dem Yoga wieder annähern und wie hat er dir geholfen?

Ja, ich habe eine Weile gar nicht mehr praktiziert. Zum Glück war Lisa so hartnäckig.
Wir haben dann gemeinsam eine Ausbildung „Yoga für Menschen mit Beeinträchtigung“ gemacht. Und da merkte ich, dass sich wieder etwas entwickeln kann – nicht muss, aber kann.

Jetzt erfahre ich Yoga in einer ganz anderen Tiefe und Ausprägung.
Die Asanas sind eben nur ein Teil vom Yoga und das, was hinter der Philosophie steht, ist so groß und bedeutend. 
Das Leben im Rollstuhl zwingt mich zum Annehmen und ist dadurch ein großer Lehrmeister. Das Fundament war zum Glück schon da, sodass ich nicht von null anfangen musste. 
Ich bemühe mich, Yoga in jedem Atemzug zu praktizieren.
Yoga ist kein separater Bereich mehr in meinem Leben. Er spielt in all meinen Handlungen eine Rolle und verbindet sich mit allen Lebenslagen.

Ich merke immer wieder, wie kraftvoll Yoga für mich ist. Es gibt so viele Situationen im Alltag, die im Rollstuhl schwierig sind.
Oft werde ich an Dinge erinnert, die für mich nicht mehr möglich sind, wie Fußballspielen, Kitesurfen, aber auch ganz banale Dinge, die ich ohne Hilfe nicht mehr schaffe. Yoga hilft mir das zu integrieren und loszulassen, den Blick nach vorne und auf die Dinge zu richten, die noch gehen. 

Die Nervenschmerzen, die ich habe, sind so belastend für mich. Durch die Yogapraxis schaffe ich es aber, sie als Herausforderung zu sehen. Manchmal muss ich schreien und weinen, aber größtenteils kann ich sie integrieren. 

Lisa, was ist Yoga für dich?

Ich fühle, dass ich hier auf dieser Welt bin, um einen Teil DAVON weiterzugeben. Es geht um die Essenz im Yoga, und diese ist einzigartig für jedes Individuum.
Es ist wichtig, dass wir uns erinnern, dass wir immer am Anfang sind.
Je mehr ich mich mit Yoga beschäftige, desto mehr komme ich drauf, „ich weiß eigentlich gar nichts“. Dafür reicht ein Leben nicht aus.
Ich verstehe Yoga als Zustand der Mitte – in der Mitte bleiben, egal was im Außen passiert. 

Im Leben gibt es immer wieder Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Doch sich dabei zu erinnern, zu leben und auf eine gewisse Art mit sich und der Welt im Reinen zu sein – das ist die Kunst.
Wenn ich auf die Matte gehe, praktiziere ich so, als ob´s das erste Mal und gleichzeitig das letzte Mal ist. 

Ja, wir alle bleiben immer Schüler:innen. Aber nach einem Unfall, insbesondere wenn man einen Teil seines Körpers nicht mehr spürt, ist die Asanapraxis danach bestimmt tatsächlich wie das erste Mal. Martin, wie hat sich deine Yogapraxis dadurch verändert?

Yoga ist nicht an den Körper gebunden. Selbst wenn ich nur noch atmen könnte, könnte ich noch Yoga praktizieren. Für diese Erkenntnis bin ich dankbar. Anfangs dachte ich wirklich, ich könnte so kein Yogi mehr sein. Ich hatte zumindest davor noch nie einen Yogi im Rollstuhl gesehen. 
Für mich war ein Yogi perfekt, makellos, gesund, unverletzt und rein auf allen Ebenen. Aber das ist nicht so.

Das Bild Mensch hat sich durch den Rollstuhl verändert. Yoga ist eine innere Haltung, die wir kultivieren.
Ich habe mich anfangs tatsächlich gefragt, ob ich nur ein halber Mensch bin, weil ich nur noch meinen halben Körper spüre. Heute weiß ich, ich bin 100%iger Yogi.
Mein Aussehen hat sich verändert, meine Praxis hat sich verändert, aber ich habe jetzt die Zeit, dieser Yogi zu sein. 

Ich merke schon, ihr praktiziert nicht, ihr lebt Yoga. Was macht das mit euch als Paar?

Wir fordern uns gegenseitig. Der eine kommt nicht damit durch, nur zu unterrichten und auszubilden. Wir erinnern uns gegenseitig, schlechte Gedanken wegzuschieben und Zufriedenheit einkehren zu lassen. Wir haben den Anspruch, bessere Menschen zu werden und das weiterzugeben. Wir wachsen dadurch gemeinsam. 

Wie hat sich euer Unterricht verändert?

Wir unterrichten jetzt auch Yoga für Menschen mit Beeinträchtigung.
Wenn wir Yogalehrerausbildungen geben, kann ich nicht zu 100% lehren. Ich brauche oft eine Pause. Ich kümmere mich um vieles drumherum, zum Beispiel um das ayurvedische Essen. 
Was ich nicht mehr mache, sind Asanas für gehende Menschen anzuleiten. Da habe ich die Verbindung noch nicht wiedererlangt. Ich glaube aber, dass sie wiederkommt.

Ich habe ein großes Vertrauen in Yoga. 
Jeder kann Yoga so leben, wie er oder sie das kann, möchte oder dazu befähigt ist, aber wir geben ganz klar die Hatha Yoga Pradipika, die Sutras genau so weiter, wie wir sie gelehrt bekommen. Das ist uns wichtig.
Unser Lehrer hat mal gesagt: „Wissen Sie, wichtiges Ziel ist selber Moksha zu erreichen, aber auch andere auf dem Weg zu begleiten.“ Somit denke ich, dass der Yogahof sowie andere Zentren oder auch die Arbeit, die ihr als Bausinger leistet, ganz wichtig sind, weil wir dadurch Menschen mit auf den Weg nehmen. Das braucht es.

Euer Weg, eure Art zu leben, zu lernen und zu lehren inspiriert viele Menschen. Wie geht ihr damit um?

Es gibt ja den Spruch: „Wenn du die Welt verändern möchtest, verändere erst mal dich selbst“.
Wir leben unser Leben so gut es geht authentisch. So berühren wir Menschen, mit denen wir gar keinen direkten Kontakt haben.
Es ist nicht unser Ziel zu inspirieren, aber es ist eines der schönsten Dinge, wenn sich jemand inspiriert fühlt, durch das wir tun.
Ich freue mich immer, wenn jemand auf mich zukommt, und sich für Yoga, mich und meinen Weg interessiert.

Wir sollten mit allen Themen offen umgehen, auch z.B. mit dem Thema Suizid. Das ist kein schönes Thema, aber wenn wir offen darüber sprechen, bewahren wir Menschen davor, sich so einsam und eng zu fühlen, dass sie keinen Ausweg mehr finden. Ich bin bemüht meinen Teil dazu beizutragen.
Wenn jemand auf mich zukommen möchte, unterstütze ich gerne.

Mein Papa sagt immer: „scheitern, scheitern, besser scheitern.“
Ständiges Bemühen ist Yoga. 

Ich habe schon tolle Arbeit mit Menschen machen dürfen, die sich von uns, unserem Weg und unserer Arbeit gerührt fühlen. Das ist ein Geschenk. Das Leid, das ich erfahren habe, hat für mich persönlich keinen Sinn (ich hätte es mir nicht ausgesucht und ich hätte lieber kein Leid erfahren), aber dadurch habe ich Zugang zu Menschen, die das (ansatzweise) erleben. Und wenn ich diese Menschen begleiten kann, dann hat mein Leid doch einen Sinn. 

Licht für andere sein zu können ist eine schöne Aufgabe.

Ihr schenkt viel – Inspiration, Zeit, Erfahrung, Licht… Was treibt euch an, Lisa?

Fülle und Dankbarkeit sind begründet im Geben, nicht im Nehmen.
In der Yoga-Szene wird das oft umgedreht, wie: „Ich darf nicht zu viel geben, sonst werde ich ausgenutzt“ und „Ich muss meine Grenzen wahren“.
Ich habe immer viel gegeben. Ich versuche mich an hohen Idealen zu orientieren – Geiz und Neid bringen Leere. 
Wir empfangen von Gott bevor wir geben und geben nur weiter. Jesus würde immer alles geben – und zwar jedem. Du wirst nie leer sein, wenn du aus reinem Herzen gibst.
Es kommt oft auf ganz anderen Wegen wieder zu uns zurück.
Ich möchte die Welt bewusster verlassen. Das ist ein Weg, der uns innerlich tief erfüllt.

Was für ein Verhältnis hast du zum Geben und Nehmen, Martin?

Balance wird heute großgeschrieben, aber so funktioniert das Leben nicht immer.
Der Yogahof ist ein so großes Geschenk von meiner Familie. Dass wir hier leben und ihn gestalten dürfen kann ich in der Form nicht mehr an meine Familie zurückgeben.

Als ich in den Rollstuhl kam, hatte ich einen Disput mit Gott. Ich fühlte mich bestraft in einer Tour, obwohl ich doch immer versucht hatte, alles gut zu machen.
Ich war zornig auf Gott und dachte immerzu: „Du hast mir so viel genommen, was ich geliebt habe.“
Durch Lisa habe ich verstanden, dass ich das größte Geschenk auf Erden schon bekommen habe – meine Frau. Wenn ich all das Leid mit der Lisa aufwiegen müsste, lohnt es sich für mich trotzdem jeden Tag, das anzunehmen. 
Oft sehen wir nur noch, wo wir hinwollen und übersehen die kleinen und auch großen Geschenke des Lebens.

Was möchtest du unseren Lesern noch mit auf den Weg geben, Martin?

Yoga ist immer jetzt, immer gegenwärtig. Mach alles mit Bewusstsein und widme dich 100%ig der Sache ohne Erwartung vom Ergebnis. 
Unser Guruji sagt: „Die beste Arbeit ist Arbeit ohne Ergebnis.“ Das Ergebnis ist die Konsequenz der Qualität.
Und er sagt auch: „Yoga ist, mit welcher Brille du siehst. Wenn wir Yoga machen, putzen wir diese Brille.“

Der Yogahof, der früher eine Baumschule war, ist ganz einfach und minimalistisch. Die Kunst ist, dass man sich vom Luxus abgrenzt. Yoga ist: auf dem Boden schlafen, nichts zu brauchen, sich selbst widmen und sich mit sich auseinanderzusetzen. Das könnt ihr bei uns finden. 

Lisa, was liegt dir noch am Herzen?

Wir sollten uns immer daran erinnern, dass wir Seele sind, aber trotzdem hat uns Gott einen Körper gegeben. Deshalb ist es wichtig, auch bewusst damit zu arbeiten.
Es ist diese göttliche Hingabe, die irrsinnig viel Mut und Kraft kostet, die es braucht, dass die Dinge ins Leben kommen. 
Ich habe aus den Dingen, die kamen, bewusst etwas gemacht. Ich möchte der Welt damit etwas zurückgeben.
Wir sollten den Mut haben, auf unserem spirituellen Weg auch Mensch zu sein. Wir haben hier eine Aufgabe. 

Liebe Lisa, lieber Martin, vielen Dank für dieses sehr herzliche und offene Gespräch.
Ihr habt mich persönlich sehr berührt und inspiriert. Vielen Dank dafür. Ich wünsche euch beiden alles Gute und viel Licht und Segen in eurer Zukunft.

Sabrina Kleiner
    


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